Samstag, 29. April 2017

Piano Girl - Im Herzen spielt die Musik - 'EPILOG'

(Disclaimer: Auf Wunsch von manchen Lesern, folgt jetzt, 3 Jahre später, der ‚Epilog‘ zu „Piano Girl“.)

Es war das Weihnachtskonzert. Das Weihnachtskonzert von ‚Legit‘. Ich wusste nicht wirklich, warum ich überhaupt gegangen war. Wahrscheinlich, weil es dann doch erträglicher erschien, als Inna’s Belagerung von Anrufen. Und schließlich hatte sie auch vor meiner Tür gestanden mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Dennoch glaubte ich, es war die falsche Entscheidung gewesen, nachzugeben.
Aber hier stand ich nun. In dem kleinen, muffigen Club, indem ‚Legit‘ seither seine Konzerte hielt.
Die Musik dröhnte unentwegt in meine Ohren, als ich versuchte in dem Gedränge einfach unterzugehen.
Inna jubelte und tanzte und schrie immer wieder Chen’s Namen. Sie war immer noch Hals über Kopf verliebt und ich freute mich, dass wenigstens eine von uns ihr Glück gefunden hatte.
Ich stand am Rand, obwohl Inna immer wieder versucht hatte mich direkt vor die Bühne zu ziehen. Aber, was zu viel war, war zu viel. Ich hatte so schon gut damit zu kämpfen einen lächelnden Luan auf der Bühne zu sehen. Sein Ansatz war wieder deutlich zu sehen und sein goldenes Haar nahm von den bunten Scheinwerfern alle paar Sekunden eine neue Farbe an.
Ich wusste nicht, ob er mich entdeckt hatte. Oder ob Inna, beziehungsweise Chen ihm gesagt hatte, dass ich kommen würde. Aber ich wollte auch lieber unsichtbar bleiben.
„Als nächstes haben wir eine ganz besondere Überraschung für euch!“, brüllte Tay ins Mikrofon. Die Masse grölte und drängte sich dichter an die Bühne. Ein wildes Durcheinander, aus dem ich mich nur all zu gern raushielt.
„Wir haben, anlässlich zu dieser festlichen Zeit, ein Weihnachtslied geschrieben.“, lachte Tay und zauberte prompt eine Weihnachtsmütze hervor. Auch der Rest von ‚Legit‘ eiferte Tay nach und so standen fünf Jungen mit albernen Weihnachtsmützen auf der Bühne. 
Obwohl ich sonst ja bekannt dafür gewesen wäre, so etwas total schwachsinnig zu finden, ertappte ich mich dabei Luan total niedlich zu finden mit dieser Mütze auf dem Kopf. Seine Augen glitzerten in dem roten Licht, was nun auf die Band schien.
Ich merkte, wie mein Herz stärker anfing zu pochen.
Musste ich mir das wirklich antun? Am liebsten wäre ich sofort gegangen. Sorgfältig observierte ich meinen Fluchtweg, doch das Gedränge, des überwiegend weiblichen Publikums, war so dicht, dass ich es wohl nicht so schnell hinaus geschafft hätte.
Ich drehte mich zurück zur Bühne und fing plötzlich Luan’s Blick.
Ich erstarrte, als mich seine schwarzen Augen so durchdringend ansahen. Ich war mir nicht sicher, ob er mich tatsächlich sehen konnte. Schließlich war es nicht besonders hell und ich war auch nicht gerade die Größte, sodass ich aus der Masse ragen würde.
Doch er schaute mich immer noch an. 
„Aber wir haben noch eine weitere Überraschung.“, sagte Tay als nächstes. Ich wandte automatisch den Blick auf Tay. 
„Unser Weihnachtslied ist für eine ganz besondere Person geschrieben.“, sagte er mit einem geheimnisvollen Raunen in der Stimme. 
‚Oooh’s‘ und ‚Aaah’s‘ gingen durch die Menge.
„Sie…“, sagte Tay bestimmt und legte eine Pause ein, die fast jeglichen Lärm zum Verstummen brachte. Alles wartete angespannt auf seine nächsten Worte. Und sogar mich hatte Tay damit gefesselt. 
„Sie ist wahrscheinlich einer unserer größten Fans.“, fuhr er fort.
Jetzt fühlten sich wahrscheinlich 90% der Besucher hier angesprochen und hibbelten ungeduldig auf und ab.
„Sie ist eine meiner besten Freundinnen. Wahrscheinlich DIE beste Freundin, die ich je hatte. Sie war die Inspiration für diese Band, der Grund, warum wir uns zusammen gefunden haben, aber auch der Grund, weshalb wir heute noch bestehen.“, sagte er und sein Blick wanderte damit durch die Menge.
Ich suchte unwillkürlich nach Hana. Und tatsächlich entdeckte ich sie in der Nähe der Bühne. Mit ihrem blondierten Haar stach sie ganz schön aus der Masse heraus. Ob sie wohl gemeint war?
„Sie war die Inspiration für viele unserer Lieder, die nicht nur ich, sondern wir als Band geschrieben haben.“
„Obwohl Tay dann doch die meiste Arbeit allein gemacht hat.“, merkte Kien an. 
Gelächter brach aus und Tay schaute etwas beschämt drein. Hatte er doch gerade versucht die Lorbeeren mit seinen Freunden zu teilen.
„Keine falsche Bescheidenheit.“, fügte Kris hinzu und Chen nickte bestätigend.
„Wie dem auch sei.“, sagte Tay lachend. „Dieses Lied geht nicht auf mein Konto.“
Erneut wurde die Menge aufgeregter und weiteres Gedränge folgte. Wieso spielten sie denn nun nicht endlich dieses blöde Lied…
Tay winkte im nächsten Moment Luan zu sich heran.
„Dieses Lied hat unser jüngster Luan geschrieben. Es ist sein erstes eigenes Lied, also seid etwas nachsichtig.“, witzelte er.
Luan legte seinen Bass ab und schnappte sich eine Gitarre. Er stellte sich nun vor das Mikro, was Tay ihm frei machte und sich selbst auf Luan’s Position verzog.
„Wie schon gesagt…“, hallte Luan’s Stimme durch das Mikrofon. Er war sichtlich nervös und schaute unruhig durch das Publikum. „…ist dieses Lied für…“, seine Stimme brach.
Ich hatte Gänsehaut und schaute wie der Rest gebannt auf Luan.
„…für dich.“, beendete er seinen Satz. Sein Blick richtete sich schlagartig auf mich.
Für mich? Das konnte doch jetzt nur ein schlechter Scherz sein. Alle Leute folgten seinem Blick und starrten mich an. Ich hatte mich wahrscheinlich noch nie unwohler gefühlt, als in diesem Moment.
Luan stimmte einen Akkord an. Dann zählte Chen den Takt und durch das Keyboard ertönte ein weihnachtlicher Glockensound.
Wenn der weiße Schnee zu Boden fällt, dann wär’ ich gern bei dir. Und wenn der weiße Schnee eine weiße Decke wird, dann wär’ ich gern bei dir.“, sang Luan im Refrain. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, dass Luan auch singen konnte. Seine liebliche Stimme erfüllte den Raum und ließ das Publikum hin und her schwanken. Nach und nach holten mehr und mehr Leute ihre Feuerzeuge raus und hielten sie in die Luft. Ein Meer aus kleinen Lichtern lag nun vor mir und ließ mich direkt in Luan’s schöne Augen blicken. Die ganze Zeit über sah er mich an, während er den Song spielte. 
„Oh mein Gott.“, brüllte Inna neben mir. Sie hatte sich ihren Weg zu mir gebahnt und hakte sich bei mir ein. Ich stand reglos, gar fassungslos auf meinem Platz und glaubte zu träumen.
„Zugegeben der Text ist etwas kitschig aber OH MEIN GOTT.“, schrie Inna weiter.
Ich nickte nur.
Das Lied verstummte nach einigen Minuten, Luan verbeugte sich lachend und wechselte nach donnerndem Applaus die Gitarre wieder gegen den Bass.
„Kannst du es fassen, dass er ein Lied für dich geschrieben hat?“, fragte mich Inna. „Und das auch noch vor allen Leuten spielt? Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung. Chen hat mir keinen einzigen Ton davon gesagt.“, plapperte sie. So kannte ich Inna.
Für mich war das alles zu viel. Ich brauchte Luft und zwar schnell. So schnell, wie es nur irgend ging, kämpfte ich mich durch die Massen und sog endlich die kühle Winterluft ein.
Eine perplexe Inna folgte mir ungewollt nach draußen.
„Was wird denn das?“, fragte sie mich, als sie mich endlich eingeholt hatte.
Ich schüttelte nur den Kopf. Ich war noch immer sprachlos.
„Du gehst jetzt aber nicht einfach.“, bestimmte Inna. „Du musst zumindest mit Luan sprechen.“
„Muss ich das?“, fragte ich und schaute sie an. Ich wusste ja ich war ein Feigling. Und bis jetzt hatten mir meine mutigen Momente auch nicht so viel gebracht. Also wozu mutig sein?!
„Ja, das musst du.“, sagte Inna. „Das ist doch nicht dein ernst, dass du jetzt einfach abhauen willst nach so einer Ansage.“
„Was, wenn er gar nicht mich gemeint hatte?“, fragte ich zähneknirschend.
Inna kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und stierte mich an. „Kia! Er hat dich die ganze Zeit angeguckt. DICH. Nicht irgendein anderes Mädchen.“, fuhr sie mich an. Ich war es nicht unbedingt gewohnt einen Einlauf von Inna zu bekommen. Doch hatte sie wohl recht. 
„Wir gehen da jetzt wieder rein.“, sagte sie und packte mich am Arm.
Ich wehrte mich zwar, doch ließ ich mich von Inna wieder in den Club zerren.
Das Konzert war gerade zu Ende und ‚Legit‘ baute die Instrumente ab. Sobald ich auf der Bildfläche erschien, fing ich Tay’s Blick, der sofort Luan anstieß, der ebenfalls in meine Richtung schaute.
Mein Herz wollte explodieren. Meine Hände wurden nass und hätte Inna mich nicht festgehalten, wäre ich sicherlich auch davon gelaufen.
Luan eilte von der Bühne und drängte sich an kreischenden Mädchen vorbei, bis er direkt vor mir stand.
So stand er nun dort. Schaute mich mit seinen Rehaugen an, wartete auf eine Reaktion von mir. Eine gefühlte Ewigkeit verstrich, dann griff er meine Hand und zog mich geradewegs Richtung Ausgang, hinein in die Kälte. Er wirbelte herum und hielt mich nun zwischen sich und der Hauswand gefangen.
Ich wollte ja was sagen, suchte nach irgendwelchen Worten.
Auch Luan schien nach Worten zu ringen. 
Schweigend strich er mir eine Haarsträhne hinter das Ohr.
Ich griff nach seiner Hand und senkte den Blick zu Boden. Ich betrachtete unsere Hände, wie sein Daumen über meinen Handrücken strich. Es war eine so warme und vertraute Berührung. Noch immer schwiegen wir. Die Kälte des Winters umgab uns und Luan trat einen Schritt zu mir heran. 
Im nächsten Moment fingen sich unsere Blicke wieder und ich konnte nicht anders, als ihn zu küssen. Vorsichtig legte ich meine Lippen auf seine, ängstlich und zitternd. Luan sog die Luft ein und einen Augenblick später schlang er die Arme um mich und zog mich in einen tiefen Kuss hinein. Ich hielt die Augen geschlossen, schmeckte seine süßen Lippen und badete mich in seinem Duft, den ich so vermisst hatte.
Er ließ von mir ab, blieb mir aber nah. Ich konnte seinen Atem in der Winterluft sehen. Doch fühlte sich mein ganzer Körper unglaublich warm an.
„Hat dir mein Lied gefallen?“, fragte er leise.
Ich nickte heftig und zauberte so ein Lächeln auf Luan’s Gesicht.
„Tschuldigung, dass ich solange gebraucht habe.“, sagte er, woraufhin ich den Kopf schüttelte. Es war mir egal, dass die letzten Wochen der reinste Horror gewesen waren. Alles war egal, jetzt wo wir endlich zueinander gefunden hatten. Ich zog ihn wieder dichter und diesmal war er es, der mich küsste. 
„Aber Kia…“, sagte er plötzlich und beendete unseren Kuss.
Überrascht schaute ich ihn an. „So einfach kommst du mir jetzt nicht mehr davon.“, grinste er. Auch ich musste grinsen. 
„Lass’ mich bloß nicht wieder los.“, sagte ich und lehnte meinen Kopf an seine Brust.

„Nie wieder.“, hauchte er. „Ich liebe dich, Kia.“