Mittwoch, 19. Februar 2014

Kapitel 3 - All Parts/Complete

Als Leksi gerade in den Bus einstieg, sah sie Elijah schon ganzen hinten sitzen. Er schaute aus dem Fenster, sein Gesicht konnte sie nicht richtig erkennen.
„Ist es okay, wenn ich mich für die Rückfahrt zu Elijah setze?“, fragte sie Blake, der dicht hinter ihr stand.
„Natürlich.“, sagte er und lächelte. Einen Augenblick sahen sich die beiden tief in die Augen und Leksi musste schlucken. Sie drehte sich hastig um und schlängelte sich durch den schmalen Gang zu Elijah. Als sie sich neben ihn setzte, schaute er kurz zu ihr, wandte den Blick aber dann wieder dem Fenster entgegen. Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen. Leksi wollte erst etwas sagen, wusste dann aber nicht was, da sie zuletzt nicht besonders nett gewesen war.
Der Bus setzte sich ruckelnd in Bewegung. Leksi war sehr müde. Obwohl sie nicht viel unternommen hatten, wollte sie am liebsten sofort in ihr Bett fallen. Sie sah Blake in der vordersten Reihe sitzen. Er hatte sich die Fahrt über noch nicht einmal umgedreht und er hatte auch nicht seltsam reagiert, als Leksi sich zu Elijah setzen wollte. Sie hatte eigentlich fest angenommen er würde jetzt denken, dass er irgendetwas falsch gemacht hatte und deswegen nicht bei ihm sitzen wollte. Sie wusste nicht einmal warum sie sich überhaupt zu Elijah gesetzt hatte. Es war einfach ein unangenehmes Gefühl ihn allein zu sehen. Leksi kannte ihn noch nicht lang aber sie hatte gemerkt, dass er nicht so ätzend war, wie er immer tat. Leksi spürte seine Wärme. Sie hatte es schwer die Augen aufzuhalten. Immer wieder wollten sie zufallen.
„Bist du so müde?“, fragte Elijah. Leksi schaute ihn überrascht an. Er lächelte und ausnahmsweise schien sein Lächeln ehrlich gemeint zu sein.
„Du denn nicht?“, fragte sie und legte den Kopf schief.
„Schlaf doch etwas.“, meinte Elijah und drehte den Kopf wieder weg.

Plötzlich spürte er etwas an seiner Brust. Leksi hatte ihren Kopf gegen ihn gelehnt und hielt die Augen geschlossen. Verwirrt schaute er auf ihr blondes Haar hinab. War sie tatsächlich eingeschlafen?
„Tschuldigung!“, murmelte sie in diesem Moment in seine Jacke.
„Schon okay.“, flüsterte er. Erst jetzt bemerkte er, dass sein ganzer Körper sich angespannt hatte. Er atmete tief ein und lockerte sich etwas.
„Freust du dich schon auf dein Zuhause?“, fragte Leksi. Sie schielte zu ihm nach oben.
„Ehrlich gesagt nicht, nein.“, meinte er und seufzte.
„Wieso das nicht?“, wollte Leksi wissen.
„Schlaf lieber!“, entgegnete Elijah um der Frage auszuweichen.
Leksi schüttelte ihren Kopf und zerzauste dadurch ihr Haar. Elijah musste lächeln. Er drückte sich in die Sitzlehne und schloss ebenfalls die Augen.
„Warum willst du es mir nicht sagen?“, hakte Leksi nach, als Elijah nichts mehr sagte.
„Du kannst echt nerven.“, lachte er.
„Ich weiß.“, seufzte Leksi. „Ich würde so gern zurück.“, sagte sie in einem traurigen Ton.
„Gehst du denn nicht?“, fragte Elijah und in seiner Stimme lag Verwirrung.
„Ich bezweifle das doch sehr.“, hauchte sie, vergrub ihr Gesicht in seiner Jacke und drückte die Tränen zurück. Elijah biss die Zähne zusammen und wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er wusste ja nicht einmal, warum Leksi überhaupt im Internat war, geschweige denn, ob sie nach den Winterferien wieder kommen würde.
„Das wird schon werden.“, sagte er stumpf und wusste selbst, dass das ziemlich blöd klang. Leksi lachte entmutigt auf. „Ich werde meine Trainingspartnerin vermissen, wenn du nicht wieder kommst.“, sagte er und bereute dies sofort. Angespannt beobachtete er sie.
„Du bist komisch.“, meinte Leksi. Sie wandte den Kopf nach oben und wurde von Elijah’s Haaren gekitzelt. Er hatte den Kopf gesenkt, sodass seine Augen von Schatten überdeckt waren. Er kaute auf seiner Unterlippe herum, etwas, das er oft machte, wenn er nervös war. Erwartungsvoll schaute er sie an. Er hatte sich eigentlich vorgenommen ihr weiterhin die kalte Schulter zu zeigen, aber ihre plötzliche Nähe hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. Elijah schaute in ihre hellen Augen, die ihn zu hypnotisieren schienen. Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte Elijah endlich den Blick von ihr abwenden.
„Wir sind gleich da.“, meinte er, als das Tor des Internats schon zu sehen war.

Leksi sog seinen Duft ein. Er roch nach frischer Luft und irgendwie nach Zimt. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie sich gegen seine Schulter hatte fallen lassen. Obwohl sie Elijah erst seit einer Woche kannte, strahlte er eine seltsame Vertrautheit aus. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie ihren Kopf wahrscheinlich wieder von seiner Schulter gehoben und sich in die harte Sitzlehne gedrückt. Doch sie schaffte es kaum ihre Augen überhaupt zu öffnen und das gleichmäßige Schlagen von Elijah’s Herz zog sie schon in eine andere Welt. Der Bus ruckelte gerade über den unebenen Sandweg, der sich durch den Wald schlängelte. Leksi wollte, dass diese Fahrt niemals endete. Sie wollte nicht zurück in das hohe Gebäude gehen. Sie wäre am liebsten aus dem Bus gesprungen und fortgelaufen. Alicante war zwar auch nicht besser, aber dort gab es vielleicht jemanden, der sie durch ein Portal wieder zurück nachhause schicken konnte.
„Würdest du mir helfen?“, murmelte sie gedankenverloren. Eigentlich wollte sie die Frage gar nicht laut aussprechen. Blake lehnte es offensichtlich ab ihr zu helfen, aber Leksi konnte ihn verstehen. Doch Elijah wirkte nicht so, als hätte er irgendetwas zu verlieren.
„Was meinst du?“, hauchte Elijah. Seine Stimme hatte so einen wunderschönen Klang, wenn er nicht so aufbrausend und böse sprach.
„Ich muss nach Montreal.“, redete sie weiter und schaffte es allmählich ihre Augen geöffnet zu halten.
„Wieso glaubst du, dass ich dir helfen kann?“, wollte er wissen. Seine Züge hatten sich versteift.
„Weil ich weiß, dass Blake es könnte.“, flüsterte sie niedergeschlagen. „Aber er darf nicht.“
„Ach und mich mag sowieso keiner, also ist es ja egal, wenn ich dich durch das Portal schicke und es jemand mitbekommt?!“, in Elijah’s Stimme schwang Wut mit. Ruckartig hob Leksi den Kopf und schaute ihn entsetzt an.
„Nein so meinte ich das doch gar nicht.“, setzte sie an, doch im Grunde war es so ein ähnlicher Gedanke, der Leksi annehmen ließ, dass Elijah ihr helfen könnte.
„Wann willst du zurück?“, fragte Elijah nach einer kurzen Stille.
Ungläubig sah Leksi ihn an. „Am liebsten ja sofort, aber wir haben ja noch die Prüfung bei Nolan.“, fing sie an. Als Nolan’s Name viel und die Prüfung schaute Elijah ihr neugierig in die Augen. Sie würden am Montag ihre Aufgabe bekommen und mussten am letzten Schultag eine Prüfung ablegen. Leksi war diese Prüfung eigentlich egal, da die Note ohnehin unwichtig war. Aber Elijah und sie gaben ein so gutes Team ab, wenn sie sich mal nicht in den Haaren hatten oder er sie einfach nur böse anstarrte, und das hatte in Leksi so etwas wie Ehrgeiz geweckt. Natürlich wollte sie sofort zurück nach Montreal, aber sie hatte auch panische Angst, was Helen und Aline sagen würden, wenn sie plötzlich dort aufschlagen würde. Das war dann doch etwas anderes, wenn das Schuljahr offiziell zuende war. Immerhin schloss das Internat über die Winterferien und irgendwo musste sie ja schließlich unterkommen. Helen und Aline würden sie dann sicher wieder aufnehmen und wären nicht so sauer, wenn sie getan hatte, was verlangt war.
„Also dann am Freitag nach der Prüfung?“, wollte Elijah wissen. Leksi nickte.
„Danke.“, sagte sie. Es war ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass sie nicht mehr allein war. Auch wenn sie sich gewünscht hätte Blake würde sie unterstützen, war sie sehr froh, dass Elijah dies nun tat. Er war zwar sehr seltsam aber man schien sich auf ihn verlassen zu können. Leksi hatte schon von dem Portal im Internat gehört, durch das man nur gehen konnte, wenn man eine bestimmte Rune aufgetragen bekam. Und eben diese Rune prangte seit ihrer Ankunft auf ihrem Unterarm. Jeder Schüler im Internat bekam eine, obwohl Leksi nicht verstanden hatte, warum Mrs. Wayland ihr eine gegeben hatte. Wahrscheinlich damit sie sich nicht noch mehr wie eine gefangene fühlte und ihr eine gewisse Zugehörigkeit aufgedrückt wurde.
„Ich habe dein Problem erkannt.“, meinte Elijah plötzlich. Seine Stimme klang vorsichtig.
„Mein Problem?“, fragte Leksi überrascht und wusste nicht welches Problem er denn jetzt meinte.
„Beim Kämpfen.“, sagte Elijah stumpf.
„Bitte?!“, entfuhr es ihr. Sie hatte sich doch wohl verhört?! „Was soll ich denn da für ein Problem haben?“, fragte sie aufbrausend.
„Genau das meine ich.“, sagte Elijah und zog eine Augenbraue hoch.
Entgeistert starrte Leksi ihn an und schüttelte fragend den Kopf.
„Wut dominiert dich.“, stellte er fest. „Das sieht man wenn du kämpfst. Wut ist eine Schwäche und so kannst du niemals eine erstklassige Kämpferin werden.“
Das war zu viel für Leksi. Perplex ließ sie sich gegen die Lehne fallen und rang nach Worten. Am liebsten hätte sie ihm entgegen gebrüllt, dass er Unrecht hatte, doch jetzt wo sie seine Worte in ihrem Kopf hatte, erkannte sie etwas wahres daran.
„Wenn wir also Freitag super sein wollen, dann müssen wir nach dem Unterricht noch extra Stunden einlegen.“
„Glaubst du echt das haben wir nötig?“, wollte Leksi wissen, die sich etwas beruhigt hatte.
„Du schon.“, meinte Elijah. „Das soll kein Angriff sein, Aleksa.“, fuhr er mit sanfterer Stimme fort. Leksi hasste es Aleksa genannt zu werden, aber wenn er es sagte, klang es irgendwie nett und nicht von oben herab.
„Ich hol die Wut schon aus dir heraus.“, sagte er, als er merkte, dass Leksi nichts mehr zu entgegnen hatte.
„Ich glaube ja eigentlich nicht, dass gerade du der Richtige für so etwas bist.“, sagte sie schnippisch und fühlte sich etwas beleidigt. Schließlich war es Elijah, der immer wütend aussah und alle anmachte, die ihm irgendwie zu nah kamen. Als Antwort erhielt sie nur ein amüsiertes Lächeln.

Missmutig betrat Leksi den Trainingssaal. Der Unterricht war schon zu ende und jetzt sollte sie mit Elijah an ihrem Test arbeiten. Die Aufgabe, die sie von Nolan bekommen hatten, war recht einfach. Sie mussten nur eine synchrone Abfolge von Hieben ausführen, die man besonders bei japanischen Schwertern anwandte. Doch Elijah schien darin ein Problem zu sehen und bemängelte Leksi’s Bewegungen. In seinen Augen war sie zu steif und zu konzentriert. Elijah lief in dem großen Saal auf und ab. Er trug seine Schattenjägermontur genau wie Leksi. Als sie den Raum betrat, drehte er sich um. Sein braunes Haar war etwas zerzaust und hing ihm in langen Strähnen ins Gesicht. Leksi ging auf ihn zu. Sie musste zu ihm hochschauen. Er war locker einen halben Kopf größer als sie.
„Da bist du ja endlich.“, meinte er. Leksi wusste nicht, ob er schon wieder zickig war oder ob sich seine Stimme einfach immer so anhörte.
„Setz dich auf den Boden.“, meinte er. Leksi zog die Augenbrauen hoch. Wieso sollte sie sich denn auf den Boden setzen? Elijah sah sie erwartungsvoll an, woraufhin Leksi sich seufzend niederließ.
„Schneidersitz.“, sagte Elijah und setzte sich gegenüber von ihr hin.
„Jetzt leg deine Hände auf deine Knie und mach die Augen zu.“
„Was soll das werden?“, wollte Leksi wissen.
„Wir meditieren.“, sagte er stumpf.
„Das ist nicht dein ernst?!“ Leksi schüttelte den Kopf.
„Mein voller ernst.“ Elijah hatte die Augen bereits geschlossen.
„Und wozu das ganze?“, fragte sie.
Genervt riss Elijah die Augen auf. „Kannst du mir nicht einfach vertrauen?“, fuhr er sie an.
„Das fällt mir ehrlich gesagt schwer.“, schleuderte Leksi ihm entgegen.
Er öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, schloss ihn aber wieder und atmete tief durch. „Bitte mach jetzt die Augen zu und mach was ich dir sage.“, sagte er und man konnte seine Anspannung spüren.
Leksi rollte mit den Augen und legte anschließend ihre Hände mit einem lauten Knall auf ihre Knie.
„Danke.“, meinte Elijah. „Atme tief ein und aus und stell dir dabei vor, dass die saubere Luft alles Schlechte und alles Böse aus dir mitnimmt.“
Leksi tat was er sagte, fühlte sich aber etwas seltsam dabei. Es fiel ihr schwer sich auf ihn einzulassen und sich einzugestehen, dass sie tatsächlich eine unbändige Wut in sich hatte. Sie wollte ihm eigentlich nicht recht geben, aber es blieb ihr nicht viel anderes übrig. Nach einer Weile lockerte Leksi sich und konnte sich bei der Meditation etwas entspannen.
„Fokussiere den schwarzen Fleck in dir. Umhülle ihn mit einer goldenen Schicht. Lass das Schwarze nicht an dich heran. Schalte es ab.“
Als Leksi das tat, kamen ihr wieder die Bilder von Annabeth in den Sinn. Deswegen war sie so wütend. Aber sie war nicht etwa wütend auf Helen oder Aline, weil sie sie ins Internat geschickt hatten. Sie war auch nicht wütend, weil Mrs. Wayland ihr keine Informationen gab. Sie war nur wütend auf sich selbst, weil sie Annabeth hatte gehen lassen. Sie wusste genau, dass sie sich Nacht für Nacht aus dem Institut geschlichen hatte, um sich mit diesem dämlichen Jungen zu treffen, den sie im Park kennengelernt hatte. Sie hatte ihm ihr wahres Ich verschwiegen und hatte darauf gepocht, dass er es irgendwann verstehen würde. Leksi hatte ihn nur ein einziges Mal gesehen. Und da hing her mit aufgeschlitztem Bauch an jener Laterne. Sein blondes Haar schimmerte im gelben Licht und Blut tropfte von seinen Fingerspitzen auf den Boden. Er hatte Pianohände gehabt. Das hatte Annabeth über ihn gesagt. Das mochte sie besonders an ihm. Das, und dass er sie zum Lachen brachte. Sie sagte sie sei es Leid von so viel Tot und Leid umgeben zu sein und er sei eine schöne Abwechslung. Hayden war sein Name gewesen. Leksi würde niemals vergessen, wie sanft Annabeth’s Stimme geklungen hatte, als sie seinen Namen ausgesprochen hatte. Nur deswegen hatte sie sie gehen lassen. Weil sie wusste wie viel Hayden ihr bedeutete. Weil sie genau wusste, was Annabeth meinte, wenn sie sagte die Schattenjäher führen ein schwarzes Leben. Sie hatte niemals vorgehabt den Schattenjägern den Rücken zu kehren, sie wollte doch nur einmal nicht an Dämonen denken. Und genau dies kostete ihr das Leben. Leksi gab sich die Schuld daran. Sie hätte bei Annabeth bleiben sollen. Oder zumindest darauf bestehen sollen, dass sie eine Waffe mitnahm. „Wie soll ich das denn Hayden erklären?!“, hatte sie gefragt und den Dolch auf den Teppich in ihrem Zimmer geworfen. Aber wer hätte auch ahnen können, dass ein Dämon genau im Jarry Park auftaucht und zwei harmlose Teenager umbringt. Leksi wollte nicht glauben, dass es dafür keinen besonderen Grund gab. Sie glaubte nicht an einen Zufall und es macht sie so wütend, dass sie es nicht sicher wusste.
In diesem Moment spürte sie, wie ihr heiße Tränen über die Wangen liefen. Ihr wurde schwindelig und schlecht. Ihr Magen zog sich zusammen, ihr Kopf hämmerte. Reflexartig fasste sie sich an die pochenden Schläfen, doch der Schmerz ließ nicht nach. Benommen öffnete sie die Augen. Vor ihr war alles verschwommen. Ein kalter Schauer erfasste sie und sie klappte zusammen. Sie hörte noch Elijah’s verwirrte Stimme. In ihren Adern schien das Blut zu brennen. Mit einem Mal wurde ihr schrecklich heiß, sodass sie ungeschickt versuchte ihre Jacke zu öffnen. Das atmen viel ihr schwer, sie schnappte nach Luft aber hatte das Gefühl nur Wasser in ihre Lunge zu bekommen. Plötzlich fing sie an zu husten, als würde sie das Wasser ausspucken, doch da war nichts.
„Aleksa, Lex, was ist mit dir?“, fragte Elijah besorgt. Er hatte sich über sie gebeugt. Ihre Wangen glühten. Sie strampelte wild um sich, als würde sie halluzinieren.
Als Elijah bemerkte, wie Leksi mit den Fingern an ihrem Reißverschluss herumfummelte, half er ihr und öffnete ihre Jacke. Er wusste nicht, was er tun sollte und was gerade geschehen war.
„Lex! Kannst du mich hören? Bitte rede mit mir.“
Leksi keuchte. Sie spürte Elijah’s kalte Hand, die sich um ihr Handgelenk schloss um ihren Puls zu messen. Langsam zog sich das Brennen zurück. Sie versuchte sich auf den schwarzen Fleck zu konzentrieren. Doch die Schwärze war überall. Sie hatte sie nicht ummantelt, sondern frei gelassen. 
„Hör mir zu. Das alles kann dir nichts tun. Es hat keine Macht über dich.“
Verzerrt drangen Elijah’s Worte zu ihr durch. Leksi war schrecklich müde. Der Schwindel ließ zwar nach, aber erfüllte ihren Körper mit einer betäubenden Schwäche. Sie spürte, wie sie nach oben gehoben wurde. Sanft wurde sie an Elijah’s Schulter gedrückt. Sie erkannte die süßliche Zimtnote. Sie presste sich an ihn, glaubte in der nächsten Sekunde ohnmächtig zu werden. Mit letzter Kraft krallte sie sich in seine Jacke. 

Rauschende Wellen schwappten gegen ihren Körper. Sie fühlte das Prasseln von Regentropfen auf ihrer Haut. Um sie herum war alles schwarz. Blinkende Lichter blendeten in ihren Augen. Es war als würde sie fallen. Der Wind schnitt rasiermesserscharf  über ihre Haut. Ihre Lunge drückte, als würde sie zerplatzen. Leksi hielt die Luft an, wollte nicht atmen. Sie spuckte Blut. Doch das Blut war silbern. Als das schillernde Sekret auf ihre Haut traf, fing es an diese zu zersetzen. Zischend brannte es sich in ihr Fleisch und frass sich über ihren Körper. Leksi wollte schreien, doch sie merkte, wie jemand ihr den Mund zuhielt. Sie verspürte einen dumpfen Schlag, zwei Hände um ihren Hals, die immer fester zupackten. Sie strampelte, blickte auf ihre Hände, die nur noch aus Knochen bestanden. Jetzt schrie sie. Sie schrie so sehr, dass ihre Lippen aufplatzten und sie das ätzende Blut in ihrem Gesicht spürte. „Lex! Wach auf. Du träumst nur.“, hallte in ihrem Kopf. Sie riss die Augen auf. Um sie herum war es dunkel. Sie befand sich noch immer in dem großen Trainingssaal, der spärlich mit einigen Elbenlichtern beleuchtet war.
„Was ist passiert.“, flüsterte Leksi. Elijah hatte sich über sie gebeugt. Vorsichtig versuchte sie sich aufzusetzen. Erst jetzt merkte sie, dass sie auf einer der Matten lag.
„Du hast mehr Wut in dir, als ich dachte.“, flüsterte Elijah betreten zurück. „Es tut mir wirklich leid.“, fügte er hinzu.
Leksi konnte in dem dämmrigen Licht seine wunderschönen hellen Augen erkennen. Sie leuchteten so vertraut, dass Leksi unwillkürlich lächeln musste. Verwundert blickte Elijah auf sie herab.
„Wie spät ist es?“, wollte Leksi dann wissen.
„Zu spät. Das Essen hast du verpasst.“, meinte Elijah und verzog das Gesicht.
„Oh nein, wie lange lag ich hier denn rum?“
„Geht es dir denn jetzt gut?“, wollte Elijah wissen. Leksi nickte. Ihr Kopf tat zwar immer noch etwas weh, aber ansonsten hatte sie keine Schmerzen. Sie konnte sich kaum noch an etwas erinnern. Das letzte was sie wusste war, dass sie versucht hatte sich an Elijah’s Duft im Hier und Jetzt zu halten, danach versanken ihre Erinnerungen in tiefer Dunkelheit.
„Glaubst du es ist jetzt weg?“, fragte Leksi.
„Ich weiß es nicht.“, gestand Elijah.
„Tut mir leid, dass ich so anstrengend bin.“, meinte Leksi zerknirscht. Es war ihr ein wenig peinlich, dass sie vor Elijah in Ohnmacht gefallen war und dass sie anscheinend eine ganze Weile nicht anwesend gewesen war.
„Was ist denn hier los?“, hallte es plötzlich durch den Saal. Erschrocken blickten Leksi und Elijah zur Tür in der Nolan stand und die beiden mit hochgezogenen Augenbrauen ansah.

„Das war sowas von peinlich.“, lachte Leksi, als sie und Elijah durch den Korridor zu ihren Zimmern gingen. Nolan hatte die beiden fragend angeguckt, doch ohne ein Wort zu sagen, waren beide an ihm vorbei gehastet und hatten eine Entschuldigung gemurmelt.
„Ich hoffe darauf spricht er uns morgen nicht vor den anderen an.“, gab Elijah zu bedenken.
„Oh nein, glaubst du das würde er machen?!“, Leksi schaute ihn erschrocken an.
Elijah zuckte nur mit den Schultern, doch sein Blick verriet ihr, dass Nolan wohl durchaus solche Aktionen brachte. An der Treppe zum Mädchenkorridor trennten sich ihre Wege.
„Mach dir nicht zu große Gedanken, ich hau uns da schon raus.“, meinte Elijah und versuchte damit Leksi zu beruhigen. Diese nickt nur.
Sie fragte sich, was Nolan wohl jetzt dachte. Immerhin lagen sie mehr oder weniger auf den Matten. Aber nein, er würde doch wohl nicht denken, dass… Immerhin hatten sie doch auch ihre Zimmer und überhaupt war das doch alles sehr merkwürdig. Nolan musste doch wissen, dass die beiden sich eigentlich nicht unbedingt ausstehen konnten. Mittlerweile stimmte das vielleicht nicht mehr, doch Leksi hoffte einfach, dass das niemandem aufgefallen war. Schließlich hatte Blake auch noch nie ein Wort darüber verloren.

Am nächsten Morgen hätte Leksi beinah verschlafen. Elodie schüttelte sie aus dem Bett. Als Leksi auf die Uhr blickte, schreckte sie hoch und rannte in Windeseile durch das Internat.
„Da ist ja auch unsere zweite Kandidatin.“, strahlte Nolan ihr entgegen. Leksi fühlte sich noch gar nicht richtig wach und wurde von der Welle an Blicken und dem grellen Licht beinah erschlagen. Sie entdeckte Elijah, der genervt dreinblickte. Weiter hinten erkannte sie Blake. Sein Blick war starr und abwesend, er schaute auf den Boden ohne Leksi zu beachten.
„Jetzt kann ich ja endlich erzählen was ich zu sagen habe.“, freute sich Nolan. „Aleksa kommt her zu mir.“, bedeutete er ihr mit der Hand. Verdutzt stolperte sie neben Nolan. Er war merklich größer als sie und roch, als hätte er in seinem Deo gebadet. Da Leksi noch nichts im Magen hatte, wurde ihr prompt etwas übel. Sie versuchte den Kopf so zu drehen, dass sie seinen üblen Duft nicht einatmen musste, doch es schien als sei er von einer ganzen Wolke umgeben, die sich langsam aber sicher im ganzen Raum ausbreitete. Elijah lächelte amüsiert, woraufhin Leksi ihm einen bösen Blick zuwarf. Er hatte offenbar ihr Problem erkannt, stand aber soweit entfernt, dass die Duftwolke ihn sicher noch nicht erreicht hatte.
„Ich habe euch ja schon angeführt, dass ich Aleksa und Elijah letzte Nacht hier vorfand.“, fing er an. Leksi musste schlucken. Ihr schlimmster Alptraum wurde gerade wahr.
„Ich finde ihr anderen könnten euch daran ein Beispiel nehmen.“
Leksi hatte sich schon auf gierige Blicke und abfällige Bemerkungen vorbereitet und blickte nun in verblüffte Gesichter. Doch sie war mindestens genau so verwundert. Elijah hatte die Augenbrauen hochgezogen und musterte Nolan neugierig. Doch Leksi wollte nicht so recht glauben, dass es das schon gewesen war und wappnete sich für einen Tiefschlag.
„Ich habe beobachtete, wie die beiden schon am Nachmittag in den Saal kamen. Erst kurz vor Mitternacht habe ich die beiden auf ihre Zimmer geschickt. Der Trainingssaal steht euch immer offen. Aber natürlich legt nicht jeder so ein bemerkenswertes Engagement an den Tag wie die Zwei.“, damit klopfte er Leksi auf die Schulter und strahlte über das ganze Gesicht. Die anderen Schüler waren sichtlich genervt und Leksi konnte sich nicht entscheiden, was sie lieber gehabt hätte. Den Ruf einer draufgängerischen Verrückten, die  allen ernstes etwas mit Elijah am Laufen hatte, oder die Streberin, die erst seit kurzem auf dem Internat war und jetzt schon allen Professoren in den Hintern kroch. Sie rümpfte die Nase. Blake starrte noch immer auf den Boden und Leksi fragte sich, ob es wohl mit ihr und Elijah zu tun hatte. Irgendwie hatte Leksi ihn auch beim Abendessen sitzen lassen, ohne Bescheid zu geben und das war nun nicht die feine Art. Vielleicht glaubte Blake, dass die beiden etwas anderes getan hatten, als nur zu Üben. Nervös kaute sie auf ihrer Lippe herum, bis Elijah sie aus ihren Gedanken riss.
„Das ist ja gerade noch einmal gut gegangen.“, stupste er sie an und zog sie mit zu den Matten, wo das Training wieder beginnen sollte.
„Ich dachte echt er erzählt denen sonst was.“, gestand Leksi fassungslos.
„Das konnte er sich dann wohl doch nicht vorstellen.“, lachte Elijah.
„Ich bin ja auch viel zu charmant, um mit so einer negativen Person zusammen zu sein.“
„Du charmant? Wann?“, lachte Elijah und ließ sich nicht anmerken, dass ihn Leksis Bemerkung etwas getroffen hatte. Er erntete einen bösen Seitenblick von ihr.

Das gesamte Training über, hatte Blake sie keines Blickes gewürdigt. Er schien immer noch in Gedanken versunken in einer anderen Welt zu schweben, die für niemanden zugänglich war. Gerade verließ er den Saal, um zu seiner nächsten Stunde zu kommen, da wurde er von Leksi eingeholt. Sie gesellte sich dicht neben ihn. Aus den Augenwinkeln hatte er sofort ihren blonden Pferdeschwanz erkannt. Er rang nach einem Lächeln, welches ihm nicht so wirklich über die Lippen wollte.
„Es tut mir leid, dass ich dich gestern beim Essen allein gelassen habe.“, fing Leksi an und glaubte fest, dass er deswegen so geknickt war.
„Schon gut.“, sagte Blake kaum hörbar. Er hatte tiefe Augenringe, seine sonst so hellbraune und warme Haut war blass und fahl. Er sah krank aus und müde. Unsagbar müde, erschöpft und ausgelaugt. Leksi fiel das erst jetzt auf, wo sie so nah vor ihm stand. Die beiden waren vor dem Klassenzimmer von Blake’s nächster Stunde stehen geblieben.
„Was ist los mit dir?“, fragte Leksi einfühlsam und hatte seltsamerweise ein schlechtes Gewissen.
„Nichts.“, sagte Blake. Er hatte den Blick auf den Boden gewandt.
„Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst.“, sagte sie nur und ignorierte seine Antwort. Normal waren es doch die Mädchen, die immer sagten es sei Nichts, obwohl sie so aussahen, als sei die Welt kurz vor dem Untergang. Blake nickte kaum merklich. Er wandte sich gerade zum Gehen um, doch Leksi griff nach seinem Handgelenk.
„Blake, bitte. Rede doch mit mir.“, sagte sie drängelnd. Die Wärme, die von ihrer Berührung ausging, ließ ihn erschaudern. Plötzlich sehnte er sich nach ihrer Nähe. Er spürte wie sein Herz in seiner Brust schneller schlug. Es war zwar erst einige Tage her, dass er Leksi so nah war, aber es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Es hatte ihm einen Stich versetzt, dass sie genau danach zu Elijah gegangen war. Er war nicht eifersüchtig. Zumindest glaubte er das. Er wollte sie nur für sich haben. Er wollte als einziger für sie da sein. Am Ende der Woche wäre sie fort und er zurück in Moskau. Wenn er wieder in das Internat zurückkehren würde, wäre Leksi nicht mehr hier und der Alltag ginge von neuem ohne sie los. Aber eigentlich lastete etwas ganz anderes auf ihm. Eine tiefe Leere umgab ihm seit jenem Anruf aus Moskau letzten Abend. Blake schaute in Leksi’s helle Augen. Obwohl sie so kalt waren, wie Eis, verlor er sich darin. Er gab nach, zog Leksi zu sich heran und schloss sie in seine Arme. Er drückte sie fest an sich. Leksi wurde davon total überrascht. Sie stolperte nach vorn. Die plötzliche Nähe schnürte ihr die Kehle zu. Sie spürte die Blicke der Vorbeigehenden auf sich. Als sie sich in Alicante an ihn geworfen hatte, war niemand dort gewesen, doch jetzt waren sie von wahrlichen Massen umgeben.
Es tat so gut, sie in den Armen zu halten.
„Meinte Tante ist gestorben.“, flüsterte er. Er hatte nicht gedacht, dass er diese Worte überhaupt hätte aussprechen können. Das letzte Mal hatte er Sarah Pangborn vor fast einem Jahr in den Winterferien gesehen. Und das sollte das letzte Mal gewesen sein.
„Oh.“, hauchte Leksi. Sie war plötzlich mit der Situation überfordert.
Blake hatte seine Tante geliebt. Mehr, als er seine Mutter liebte und auch mehr als er seinen Vater liebte. Sie war alles für ihn gewesen. Wieso wurde ausgerechnet sie ihm genommen. Als seine Mutter mit gleichgültiger Stimme aus dem Institut in Moskau angerufen hatte, wusste er schon, dass dies nur Schlechtes bedeuten konnte. Sie rief ihn niemals an. Für einen Moment hatte er geglaubt sie würde ihm mitteilen, dass er dieses Mal nicht kommen sollte, doch dann fuhr sie mit harter Stimme fort und berichtete vom Dahinscheiden Sarah’s. Eine unsagliche Wut hatte ihn gepackt und am liebsten hätte er seine Mutter angebrüllt. Doch er hatte sie ruhig nach dem Tag der Bestattung gefragt und aufgelegt. Seither hatte er kein Auge zugetan. Er fühlte sich, als hätte jemand ein Stück seines Herzens aus seiner Brust geschnitten. Er hatte sie lächelnd vor sich gesehen, ihre Stimme gehört, ihre Liebe gefühlt. Er war kurz davor sich zu verlieren und nur Leksi hielt ihm im Hier und Jetzt. Er wusste, dass sie verstehen würde, was er durchmachte und er klammerte sich mit aller Kraft an sie. Es hatte ihm einen Schlag versetzt, als sie morgens nicht schon pünktlich bei Nolan im Kurs gewesen war und dass er sich dann auch noch anhören musste, dass sie mit Elijah zusammen gewesen war, als er sie gebraucht hätte. Doch er war ihr nicht böse, schließlich konnte sie nichts dafür. Er wollte stark für sie sein, da er ihr schon nicht wirklich helfen konnte. Er wollte zumindest Halt für sie sein, doch jetzt hatten sie offenbar die Rollen getauscht. Er wusste, dass seine Gefühle bei ihr sicher waren und das Bedürfnis danach stark zu sein verschwand, als er ihre Umarmung spürte. Sie hielt ihn fest, schob ihre Hand zu seinem Nacken in sein dunkles Haar. Eine Weile standen sie einfach so da. Blake vergaß alles um sie herum. Es war ein Moment der Ruhe. Er konnte die Wut auf die Gleichgültigkeit seiner Mutter loswerden und vergessen.
„Du solltest nicht zum Unterricht gehen.“, flüsterte Leksi. Sie löste sich aus seiner Umarmung und zog ihn mit sich aus dem Korridor.


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