Samstag, 4. Januar 2014

Kapitel 1 - All Parts/Complete

„Mrs Monteverde.“, hallte die tiefe Stimme in Aleksas Kopf. Erschrocken sah sie hoch. Ein Raunen ging durch das gemütliche Klassenzimmer.
„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn sie dem Unterricht folgen könnten.“
„Entschuldigung, Professor Lightwood.“, brachte Aleksa Monteverde hervor. Professor Lightwood seufzte mitfühlend, schenkte ihr ein zartes Lächeln und fuhr mit seinem Unterricht fort.
Professor Lightwood war ein verständnisvoller Mann. Er hatte Aleksa in den letzten Wochen Einiges durchgehen lassen. Sie war noch nicht lange im Internat in Idris und sie hatte eine ganze Weile gebraucht, bis sie überhaupt fähig war am Unterricht teilzunehmen. Die stillen Bruder hatten ihr zwar sehr geholfen, aber den eigentlichen Verlust konnte ihr niemand nehmen und sie musste ganz allein damit fertig werden.
Nach Ende des Unterrichts schlich Aleksa durch die Gänge des Internats. Die Decken waren hoch, das Gebäude sehr prachtvoll. Dunkle Holzvertäfelungen säumten die Wände, der Boden war aus schimmerndem Marmor und die Kronleuchter an den Decken tauchten alles in ein wundersames goldenes Licht. Unter anderem Umständen hätte Aleksa das Internat wunderschön gefunden aber momentan hatte sie keine Beachtung dafür.
Aleksa Monteverde stieg die steile Treppe hinauf, die zu dem Korridor führte, indem die Mädchen ihre Zimmer hatten. Die Tür zu Aleksas Zimmer war nur angelehnt. Dahinter hörte sie aufgeregte Mädchenstimmen. Einen Moment hielt sie inne, wappnete sich für die Blicke, die sie gleich durchbohren würden.
Elodie Herondale stand am Fenster, das in den weiten Innenhof hinausführte. Als Aleksa den Raum betrat schrak sie ein wenig zurück und starrte sie überrascht an. Sie warf ihrer Gesprächspartnerin Moira Blackthorn einen wirren Blick zu, die daraufhin sofort aus dem Zimmer verschwand. Aleksa ging zu dem weichen Bett welches in einer Ecke des Zimmers stand und schaute durch die große Fensterfront. Draußen wurden einige Blätter vom Wind durch die Luft geweht. Die Äste der Bäume waren kahl und der sonst so grüne Innenhof lag trist in ausgeblichenen Braun- und Gelbtönen vor ihr.
„Leksi, ist alles okay mit dir?“, fragte Elodie in diesem Moment. Aleksa schaute sie ruhig an und rang nach einem Nicken, welches ihr nicht so wirklich gelingen wollte. Sie wusste, dass Elodie sich nicht gern das Zimmer mit ihr teilte und lieber wieder mit Moira zusammen wäre. Aleksa hatte sich das nicht ausgesucht und fühlte sich trotzdem verantwortlich dafür. Dennoch war Elodie seit ihrer Ankunft immer freundlich zu ihr gewesen, wofür Leksi ihr sehr dankbar war.
Elodie setzte sich neben sie auf das Bett, sodass Leksi ihre Wärme spüren könnte.
„Du packst das schon.“, flüsterte sie und strich ihrer Mitbewohnerin über den Rücken.
Diese Worte sagte man immer und immer wieder zu ihr und dennoch schenkten sie ihr keinerlei Trost.
Ein Gong hallte durch das Gebäude und für Leksi ins Mark.
„Na komm schon. Der Unterricht fängt gleich an.“, zerrte Elodie sie vom Bett in den langen Korridor hinein. 

Später am Tag saß Leksi in der Bibliothek. Dies war in den letzten Wochen ihr Rückzugsort geworden. Sie hatte sich ganz am Ende des riesigen Raumes hinter den Regalen mit den Büchern über Lykanthropie versteckt. Hier würde kaum jemand hinkommen geschweige denn nach ihr suchen.
Gedankenverloren blätterte sie in einem der Bücher. Unbewusst fuhr sie sich über die Stelle über der Brust nahe der Schulter, wo einst ihre Parabatairune gewesen war. Sie bildete sich ein, dass die verblasste Rune, dessen Konturen sich von schwarz zu hellsilber verfärbt hatten, brennen würden, sobald sie darüber fasste. In Wahrheit aber, fühlte sie nichts. Das Brennen wäre ihr lieber gewesen. Es wäre ein Beweis dafür gewesen, dass Annabeth noch irgendwo bei ihr war. Doch seit ihrem Tod hatte sie nichts mehr gefühlt.
Auch jetzt kamen ihr wieder die grässlichen Bilder in den Kopf. Zwei aufgeschlitzte Körper, baumelnd an einer Straßenlaterne im Jarry Park.
Deswegen sollten wir uns nicht auf Mundies einlassen.“, hatte Helen gesagt.
Leksi war in der Nacht hochgeschreckt, hatte einen stechenden Schmerz in der Brust gefühlt. Sie hatte geschrien, wild um sich geschlagen. Zunächst dachte sie, sie sei angegriffen worden, doch in ihrem Zimmer im Institut von Montreal war niemand zu sehen.
Der Stoff ihres weißes Nachthemdes nahm eine rote Färbung an und als Leksi den Stoff hinunterzog, sah sie Blut aus der Parabatairune austreten. Unwillkürlich waren ihr heiße Tränen in die Augen geschossen. Einen Moment hatte sie wie angewurzelt dagesessen. Danach kam ihr alles wie in Zeitlupe vor. Helen kam ins Zimmer gestürmt, zusammen mit Aline und Cedrick. Leksi hatte unverständliche Worte gefaselt. Helen bemerkte als erste, dass Leksi nicht verletzt war, sondern dass offenbar mit Annabeth etwas nicht stimmte. Sofort hatte sie Cedrick losgeschickt, um nach ihr zu sehen. Es kam Leksi wie eine halbe Ewigkeit vor, bis Cedrick völlig außer Atem ins Zimmer zurück kam und stammelnd hervorbrachte, dass Annabeth sich nicht in ihrem Zimmer befand.
„Wo ist sie?“,brüllte Helen und schüttelte Leksi. „Jarry Park.“, hatte Leksi gekeucht.
Helen war herumgewirbelt, Leksi hatte sich ihre Schattenjägermontur übergestreift und gemeinsam waren sie in den nahegelegenen Jarry Park gerannt. Den ganzen Weg über hatte Leksi es schon gewusst. Sie hatte es gespürt. Annabeth war nicht mehr bei ihr.

Ein dunkelhaariger junger Mann betrat die Bibliothek. Er begrüßte Madame Agatha, die Bibliotheksleiterin, die ihm daraufhin fröhlich zuwinkte. Auch die anderen Schattenjäger warfen ihm freundliche Blicke zu. Er schlenderte durch die dichten Regale des großen Raums. Hin und wieder beäugte er eines der Bücher genauer, doch dann bahnte er sich seinen Weg in den hintersten Winkel der Bibliothek. Als er gerade um das letzte Regal bog, blieb er abrupt stehen und betrachtete erstaunt das blonde Mädchen, das auf seinem Stammplatz hockte, die Knie an die Brust gezogen, neben ihr auf der Ablage ein aufgeschlagenes Buch.
„Ich wusste doch, dass mir jemand den Platz streitig machen würde, sobald ich mal nicht da sein würde.“, grinste er und strich sich ein paar Haarsträhnen aus der Stirn.
Überrascht fuhr Leksi hoch und strich ihren Pullover glatt.
„Tut mir leid, ich wusste ja nicht…“, stammelte sie und sah ihn verlegen an.
„Ach nein, das muss dir doch nicht leidtun. Es ist schließlich nicht wirklich mein Platz.“, lachte er und trat näher auf Leksi zu.
„Ich bin Blake. Blake Pangborn. Ich habe dich hier noch nie gesehen, kann das sein?“
Blake trug ebenfalls einen Internatspullover. Das Blau des Pullovers passte nicht zu seinen tiefen grünen Augen, dachte Leksi.
„Ich bin Aleksa Monteverde.“, entgegnete sie und schüttelte seine entgegengestreckte Hand. Einen Augenblick lang schien er nachdenklich, doch dann schlich sich sein Lächeln zurück auf sein Gesicht.
„Ich muss zugeben jetzt wo ich deinen Namen höre, weiß ich wer du bist.“, sagte er. Leksi hatte so etwas in der Art schon befürchtet. Es hatte sich bestimmt wie ein Lauffeuer im gesamten Internat verbreitet. Sie würde hier immer das verängstigte und geistig verwirrte Mädchen sein, bei dem die stillen Brüder Tag ein Tag aus am Bett gestanden hatten. Leksi versuchte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Blake bedeutete ihr mit dem Finger sich nicht von der Stelle zu rühren und verschwand hinter dem dunklen Bücherregal. Bevor Leksi sich wundern konnte wohin er verschwunden war, tauchte er auch schon wieder auf. Diesmal hielt er einen Stuhl in der Hand und platzierte ihn auf der anderen Seite der Ablage. Als Blake sich auf dem Stuhl fallen ließ, nahm auch Leksi wieder Platz und beäugte ihn neugierig. Seine Haut hatte die Farbe einer Wallnussschale, seine dunkelgrünen Augen waren von einer Reihe dunkler Wimpern gesäumt. Seine Lippen hoben sich farblich kaum vom Rest der Haut ab und sein Haarschopf war so dunkel, dass das Haar aussah als sei es in Tinte getränkt. Nur, wenn er sich bewegte wurde es durch das schummrige Licht der Bibliothek mit einem goldigen Schimmer durchzogen, der darauf schließen ließ, dass er braunes und nicht schwarzes Haar hatte.
„Kann ich dich etwas fragen?!“, durchbrach Blake ihre Gedanken. In seinem Blick lag etwas, das Leksi nicht deuten konnte. Er sah sie mit durchdringendem Blick an. Seine Hände hatte er auf dem Tisch gefaltet. An einem der Finger konnte Leksi seinen Familienring erkennen. Ein silberner Ring mit einem geschwungenen „P“.
„Wie fühlt es sich an?“, wollte er wissen. Leksi schaute ihn verwirrt an.
„Wie fühlt sich was an?!“, entgegnete sie leise, fast flüsternd.
Einen Augenblick herrschte Stille. Blakes Mundwinkel zuckte leicht und seine Kiefermuskulatur spannte sich an.
„Seinen Parabatai zu verlieren…was fühlt man?“
Leksi hielt an seinem Blick fest und überlegte fieberhaft, was sie antworten sollte. Noch niemand hatte sie danach gefragt und jetzt hatte sie nicht die passenden Worte um die Leere und den Schmerz zu beschreiben.
„Es ist…“, begann sie ihren Satz. Neugierig lehnte Blake sich nach vorn. „…als ob man nicht mehr man selbst ist. Als tappe man in der Dunkelheit und suche sich selbst, aber man wird sich niemals finden.“
„Hat es wehgetan?“, fragte Blake nun mit ruhiger Stimme.
Leksi nickte. „Das tut es noch immer. Jeden Tag. Es ist ein unaushaltbarer Schmerz und gleichzeitig fühle ich mich taub.“ Tränen schossen ihr in die Augen und sie senkte den Kopf. Besorgt griff Blake nach ihrer Hand. Erschrocken sah Leksi ihn an.
„Es tut mir aufrichtig leid.“, sagte er und gab ihre Hand wieder frei. „Wenn ich irgendetwas tun kann…“, setzte er an. Leksi schüttelte heftig den Kopf. Es gab nichts, was irgendjemand hätte tun können.
„Ich muss jetzt auch gehen.“, sagte Leksi und stand vom Stuhl auf. Als sie fast schon um die Ecke verschwunden war rief Blake ihr nach: „Sehen wir uns nachher beim Abendessen?“. Leksi war stehen geblieben und drehte sich langsam um.
„Das wäre sehr nett.“, entgegnete sie und rang sich ein Lächeln ab. Ein warmer Schauer überkam sie, als Blake ihr Lächeln erwiderte.
Sie hatte in den letzten Wochen meist allein auf ihrem Zimmer gegessen. Sie hasste es schon mit den ganzen anderen in einem Klassenzimmer zu sitzen und die gleichen Flure entlangzulaufen. Sie wollte sie nicht auch noch beim Essen ertragen müssen und zumindest diesen Wunsch hatte man ihr nicht verweigert. Im Grunde war Leksi auch jetzt nicht danach den großen Speisesaal zu betreten aber in einer gewissen Weise hatte ihr Blake Mut gemacht. Wahrscheinlich ohne, dass er davon ahnte. Es waren ohnehin nur noch einige Wochen bis zu den Winterferien und Leksi hoffte, dass sie dann wieder ins Institut in Montreal zurückkehren durfte. 

Als es Zeit zum Abendessen war, verließ Leksi ihr Zimmer. Sie ging über den dunkelroten Teppich, der den gesamten Marmorboden im Korridor bedeckte, die geschwungene Treppe hinunter und durch den Flur, der zum Foyer führte, an den der Speisesaal grenzte. An der Tür überkam sie ein mulmiges Gefühl. Sie war noch nie wirklich schüchtern gewesen. Das Gefühl, das sich in ihrer Magengegend breit machte, hatte also wenig damit zu tun. Mehr war es so etwas wie Vorfreude. Einige andere Schüler sahen Leksi verwirrt an, schoben sich an ihr vorbei durch die Tür. Leksi konnte so einen raschen Blick in das Innere des Saals werfen und versuchte Blake zu erspähen. Sie suchte nach einem dunklen, wirren Haarschopf. Sie hasste es einen Raum suchend betreten zu müssen. Allerdings konnte sie auch nicht Ewigkeiten hier vor der Tür warten.
„Leksi!“, drang an eine Stimme an ihr Ohr. Erschrocken fuhr Leksi herum und sah Elodie, die sie verdutzt musterte.
„Was machst du denn hier? Komm, du kannst gern zu uns an den Tisch.“, meinte diese freundlich, hatte aber immer noch einen verwirrten Blick. Elodie machte Anstalten Leksi am Ärmel mit in den Saal zu zerren. Gerade als Leksi etwas entgegnen wollte, wurde sie von Blake unterbrochen.
„Da muss ich dich leider enttäuschen. Aleksa ist heute schon anderweitig verplant.“, sagte Blake mit einem Grinsen auf dem Gesicht und entfernte sanft Elodies Hand von Leksis Arm. Elodie sah ungläubig von Blake zu Leksi und wieder zurück. Sie deutete mit dem Finger zwischen den beiden hin und her.
„Ihr beide…“, stammelte sie.
„Vielleicht ein anderes Mal.“, meinte Leksi, schenkte ihr ein verlegenes Lächeln und ging neben Blake in den Speisesaal. Es schien niemanden so wirklich zu interessieren, dass sie hier war. Hier und dort ging ein leises Raunen durch den Saal, doch man schenkte zu ihrer Überraschung seine gesamte Aufmerksamkeit Blake. Er wurde von so ziemlich jedem begrüßt. Er führte Leksi zu einem der Tische, an dem schon einige andere saßen.
„Hattest du noch einen angenehmen Tag?“, fragte Blake als beide gegenüber von einander am Tisch saßen. Leksi nickte nur und schaute sich in dem großen Speisesaal um. Der Raum war von vielen Lampen hell erleuchtet. Vor den Fenstern war es schon dunkel geworden und vereinzelt fielen Schneeflocken gegen die Scheiben.
„Es hat angefangen zu schneien.“, bemerkte Leksi mehr zu sich selbst als zu Blake. Dieser drehte sich kurz zum Fenster um, sah dann aber wieder Leksi an.
„Schnee hat so etwas friedliches, findest du nicht auch?!, meinte er.
„Wahrscheinlich weil Schnee so fluffig aussieht.“, grinste Leksi und brachte Blake zum Lachen.
Wenig später wurde das Essen serviert. Verschiedene Gemüsesorten, Nudeln und Reis wurde in großen Tonschalen auf den Tischen verteilt. So eine große Auswahl hatte Leksi bisher nicht gehabt. Ihr wurde immer ein fertiger Teller von den übrig gebliebenen Gerichten gebracht.
Blake schaute Leksi unvermittelt an. Er hatte auf dem Internat lange nicht mehr einen solch interessanten Charakter gesehen. Natürlich fand er Leksi auch atemberaubend schön, mit ihrer Porzellanhaut, den hellen Haaren und den blauen Augen. Aber es war viel mehr noch diese besondere Ausstrahlung, die ihn gefesselt hatte. Leksi schien in Gedanken verloren zu sein, strahlte eine unglaubliche Ruhe aus, gleichzeitig schien ihre Aura jedoch vor Zorn und Unruhe zu vibrieren. Es war als schirme sie sich selbst ab, als wäre da etwas in ihr, das nur darauf wartete herauszukommen.
Blake wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Leksi ihn fragend ansah.
„Hm?“, fragte er nach und bemerkte erst jetzt, dass er gar nicht mitbekommen hatte, dass Leksi ihn schon vermehrt angesprochen hatte.
„Ich hatte gefragt, ob dir das Essen schmeckt.“, lachte Leksi.
„Oh ja, natürlich.“, verkündete Blake und strich sich verlegen ein paar Haarsträhnen aus der Stirn.
„Vielleicht können wir ja am Wochenende etwa zusammen unternehmen?!“, meinte Blake.
Leksi schüttelte langsam den Kopf. „Bis auf die Bücher in der Bibliothek auswendig zu lernen oder die Elbenlichter in den Kronleuchtern zu zählen, gibts da wohl nicht viel zu unternehmen, nicht wahr?!“
„Aber hier in Alicante kann man doch jede Menge unternehmen.“, stellte Blake fest, der nicht ganz verstand worauf Leksi hinaus wollte.
„Ich darf das Internat nicht verlassen.“, sagte sie matt und widmete sich ihrem Brokkoli.
„Wie bitte? Wieso das nicht?“, entfuhr es Blake.
„Die sind wohl der Meinung es bestünde Gefahr, dass ich nach Montreal abhaue.“ gestand Leksi und versuchte so beiläufig wie möglich zu klingen.
Einen Augenblick lang schaute Blake sie nachdenklich an.
„Aber es ist doch keine Lösung dich hier wie eine Gefangene zu behandeln. Du gehst doch in den Ferien sowieso zurück, oder nicht?!“
Plötzlich wurde Leksi bewusst, dass sie nicht die Einzige war, die davon ausging, sie würde nicht mehr lange hier bleiben. Ein ungutes Gefühl beschlich sie und plötzlich zweifelte sie, dass es tatsächlich so sein würde.
„Das hoffe ich sehr.“, bestätigte Leksi. Trauer schwang in ihrer Stimme.
„Warum haben sie dich überhaupt erst hierher geschickt?“, wollte Blake wissen.
„Aus dem Auge, aus dem Sinn?!“, erwiderte Leksi. „Ich denke, sie wollten, dass mich erst einmal beruhigen kann, in einem neutralen Umfeld. Außerdem setzten sie alles daran mich von den Ermittlungen fern zu halten.“
„Wer? Der Rat?“, hakte Blake nach.
Leksi musste lachen. „Der sicherlich auch. Aber in erster Linie meinte ich Helen und Aline.“
Blake nickte langsam. Helen Blackthorn hatte das Institut in Montreal zusammen mit Aline Penhallow übernommen, nachdem ihre Mutter, die Konsulin Penhallow sie auf diesen Posten gehoben hatte.
„Irgendwie verständlich, aber ich kann mir vorstellen, wie du dich dabei fühlst.“, sagte Blake kühl. Leksi hörte abrupt auf zu lachen und sah ihn verblüfft an. Als er ihren Blick bemerkte, schenkte er ihr ein aufmunterndes Lächeln.
„Ich denke ich kann das mit der Direktorin besprechen und dich zu einem Ausflug mitnehmen.“, wechselte er das Thema, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schaute sie mit zufriedener Miene an.
Das Essen wurde inzwischen abgeräumt. Leksi hatte das Gefühl sie hatte schon lange nicht mehr so ausgiebig gegessen.
„Das wäre wirklich großartig. Die frische Luft fehlt mir schon.“, meinte sie fröhlich.
Blake lehnte sich wieder nach vorn, stützte die Arme auf den Tisch auf.
„Wir haben einen Innenhof.“, sagte er und sah sie herausfordernd an.
Leksi schnitt ihm eine Grimasse. „Das ist nicht das Gleiche.“, entgegnete sie und hob theatralisch das Kinn in die Höhe. Blake musste lachen. Leksi durchzog eine wohlige Wärme. Sein Lachen war so schön, dass es sie in eine andere Zeit versetzte. Es steckte an, ließ sie wie eine Blume aufblühen und verdrängte den schwarzen Kummer, der auf ihrer Seele lastete. Einen Moment beschlich Leksi ein Gefühl von einem schlechten Gewissen. Sie hatte sich seit Annabeth’s Tod zum ersten Mal wieder so lebendig gefühlt. Sie wusste, dass Annabeth sich wünschen würde, sie würde nicht zu viel Trauern, sondern ihr Leben weiterleben. Aber sie war sich auch sicher, dass Annabeth wollte, Leksi würde ihren Mörder finden und ihn für seine Taten zur Rechenschaft ziehen. Annabeth hätte hier nicht so seelenruhig am Esstisch gesessen und nette Konversation genossen. Sie hätte alle Hebel in Bewegung gesetzt, wäre irgendwie zurück zum Institut gelangt und hätte sich nicht mehr fortschicken lassen, ehe man den Dämon gefunden und hingerichtet hatte.
Vielleicht war das auch nur die Annabeth in Leksis Gedanken, dachte diese. Vielleicht redete sie sich das alles nur ein, weil sie nicht wahrhaben wollte, dass das Leben tatsächlich so weitergehen sollte. Sie hatte den Verlust noch nicht akzeptiert.


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